Es ist dunkel. Ich sehe sowieso schon grausam schlecht
ohne meine Brille, meine Lupen, meine Vergrösserungsgläser, und jetzt noch
diese Dunkelheit. Ich erkenne fast nichts. Am liebsten würde ich das Licht einschalten, hier gerade
neben mir ist sogar der Schalter; aber nein, sonst würde ich sie wecken. Das
möchte ich nicht. Sie braucht diesen Schlaf. In ein paar Stunden muss sie
wieder losfahren, zurückfahren. Sie soll sich ausruhen. Ah wie wunderschön sie
doch ist. Ihr schwarzes Haar ist in alle Richtungen verstreut. Ein paar von
ihnen berühren sogar meinen Hals. Es kitzelt irgendwie, aber ich möchte sie da lassen. Wer weiss, vielleicht wird es das letzte Mal sein, dass ich diese
wunderschöne Haarpracht fühle. Sie riecht so gut. Ich glaube sie benutzt dieses
Mandelnussöl-Shampoo. Ich bin mir nicht sicher. Spielt doch auch keine Rolle; es
riecht jedenfalls unglaublich gut, sie riecht unglaublich gut. Ich atme tief
ein. Diesen Duft muss ich mir einprägen. Nur Gott weiss, ob ich überhaupt noch einmal
dazu kommen werde, sie zu sehen, geschweige denn zu riechen. Ich lass mir das
nicht nehmen. Ihre Stirn, ich küsse sie.
Ein kurzes Zucken, aber sie bewegt sich nicht. Ich betrachte Ihren
Körper, zumindest die Konturen die ich erkennen kann. So zart und zierlich.
Weder zu gross noch zu klein ist sie. Ich sag ja immer, wie gegossen für mich.
Sie trägt dieses rote Höschen. Mein T-Shirt, eindeutig zu gross für sie,
aber sie wollte es unbedingt anziehen. Ich weiss überhaupt
nicht ob ich es ihr schenken kann? Wie würde sie es ihm erklären? Sie soll es
mitnehmen, wenigstens etwas von mir in ihrem Leben, nebst all den gemeinsamen
Erinnerungen, etwas soll bleiben.
Sie schläft ruhig, sehr ruhig sogar. Trotz all dem
bedeckt mein T-Shirt ihren Oberkörper nur bis zur Hälfte. Ich fahre ihr langsam
mit meiner Hand die Wirbelsäule herunter; wenn ich schon nichts erkennen kann,
dann wenigstens doch fühlen, ziehe aber das Shirt gerade mit. Sie soll nicht frieren
im Schlaf. Unten angekommen, berühre ich ihr Höschen. Ich streife mit meiner
Hand darüber und fahre über ihren Hintern, diese Wölbungen, so knackig. Ich
kann nicht wiederstehen. Plötzlich ergreifen mich die ersten perverseren
Phantasien. Ich erinnere mich noch genau, damals als wir uns in Griechenland
trafen, in Athen, in diesem schmuddeligen Hotel. Wir konnten die ganze Nacht
nicht die Finger von einander lassen, ausser nachdem ich im Bad war,
als sie der Schlaf übermannte. Langsam habe ich sie geliebkost von den Knöcheln
über das Wadenbein, an den Knien vorbei, zum Oberschenkel, ganz langsam, bis
ich ans Ende des Weges kam, zwischen ihren Beinen. Zuerst habe ich sie nur da
geküsst, dann fuhr ich mit meiner Zunge von oben nach unten in kreisförmigen Bewegungen und wieder zurück. Wie sie plötzlich aufwachte, dieser Blick, dieses Grinsen, dieses
Augenverdrehen, wie sie den Kopf nach hinten schlug und meinen fester an sich
presste.
Ich bin wieder scharf, rattig wie es meine Freunde immer nennen. Ich könnte sie wieder auf eine ähnliche Art wecken, würde ich am
liebsten. Einen Gomez abziehen. Aber
nein, nicht jetzt. Zu sehr geniesse ich es ihr zu zusehen, wie sie schläft. Ich
decke sie zu mit meiner rechten Hand.
Wie habe ich die letzten zwei Tage mit ihr genossen. Ich
weiss die Situation mit uns wird so nur schlimmer, nur schmerzhafter, nur
grausamer, zumindest für mich ganz sicher. Sie scheint besser damit klar zu
kommen. Vielleicht auch nicht, wie auch immer, ich habe Angst vor der Wahrheit.
Zu spät ist zu spät. Diese letzten Stunden mit ihr wollte ich mir nicht nehmen
lassen und sie auch nicht. Morgen ist alles wieder vorbei. Ein langer Heimweg
erwartet uns beide. Obwohl sie viel weiter zurück hat als ich, wird sie vor mir
ankommen. Wie lange habe ich zurück in die Schweiz, etwa 6 Stunden, wenn ich
rase eventuell nur knapp mehr als 5. Immer diese Blitzkästen überall hier in
Österreich. Jemand muss ja diesen aufgeblasenen Staat finanzieren, wobei immer
noch besser als bei uns in der Schweiz, da wird nur gezielt abgezockt werden. Politik?
Wie zum Teufel komme ich jetzt auf diese Gedanken? Ich werde ja sowieso rasen, wieso
überlege ich auch so lange. Morgen um diese Uhrzeit muss ich aufstehen und dann
ab zur Arbeit. Dort erwartet mich meine Schleifmaschine, mein nervtötender
kroatischer Teamleiter - aber hier, hier habe ich sie neben mir. Meine
allerliebste, mein Herz, mein Traum, meine griechische Göttin. Ich will nicht
weg von hier. Am liebsten würde ich hier bleiben, ausreissen mit ihr, irgendwo
hin, es spielt keine Rolle welcher Ort, oder ob das Meer nahe ist oder die
Berge, nicht im Geringsten. Ich brauche nur sie bei mir. Mehr wünsche ich mir
gar nicht.
Ich kann mich noch genau erinnern als sie mir auf
Facebook schrieb. Sie wolle mit mir reden. Es wäre dringend und sie möchte mich
treffen. Diese Worte. Bitte. Ich brauche dich. Wien. Wie hätte ich da Nein
sagen können?
Eigentlich dachte ich es wäre vorbei. Nachdem sie mir
damals in Athen erklärt hatte, sie könne diese Fernbeziehung nicht länger
aufrecht erhalten. Wie stark sie es belastet. Klar haben wir den Kontakt zu
einander bewahrt. Einfach nur das man sich nicht komplett aus den Augen
verliert. Doch trotzdem traf mich ihr Wunsch aus dem Nichts. Wenn man noch ihre
Umstände betrachtet, verstehe ich das Ganze noch mehr. Aber Wien, wieso Wien?
Nun ja, jetzt liegen wir hier im Bett, zusammen. Sie auf
meinem Arm vor sich hin träumend. Bis ich nur diesen Westbahnhof gefunden hatte
gestern Morgen. Unglaublich, hätte nie gedacht, dass eine so grosse und
berühmte Stadt wie Wien so schlecht beschildert sein könnte. Nun ja, dieser
Gedanke der mir nicht gekommen war, kostete mich eine halbe Stunde meines
Lebens. Zum Glück wusste ich wenigstens, dass es an irgend so einem Gürtel liegt. Der Neue
Gürtel soweit ich mich ersinne. Ich war noch nie gut in Geografie. Hauptsache
gefunden und zum Glück ist das Hotel gerade neben diesem Westbahnhof. Nachdem
ich meinen weissen BMW in der Tiefgarage geparkt hatte, lief ich in den Bahnhof
hinein. Es roch nach Frittiertem, Geräuchertem, es roch nach Fisch und nach
Bahnhof. Dieser komische Geruch, den so ziemlich jeder von ihnen verbreitet.
Dieses Duftgemisch. Urin, diverse Parfüme, Schweiss, Nahrungsmittel diverser
Art, rostiges Eisen. So ziemlich alles. Ich bin kein Profi in solchen Dingen
und schon gar nicht in der Analyse verschiedener Duftstoffe. Es riecht einfach
nach Bahnhof, ich glaube das versteht jeder.
Sie sass da, ihr Koffer vor ihren Füssen. Sie starrte
raus, durch die grosse Glasfassade welche Richtung Mariahilferstrasse und
Museumsquartier steht. Leicht lockiges schwarzbraunes Haar. So hatte ich sie
noch in Erinnerung. Mit dem rechtem Zeigefinger umkreiste sie ihren linken.
Leicht nervös schien sie mir, oder vielleicht gelangweilt. Ich bleibe bei
nervös, gefällt mir weitaus besser. Plötzlich drehte sie ihren Kopf zu mir, als
hätte sie gemerkt, dass ich da war. Ihre Gesichtsmimik war geschmückt mit einem
kleinen aber feinen Lächeln. Ihre Zähne kamen über die enge Mundöffnung zum
Vorschein. Ihre Bäckchen mit diesen leichten Grübchen. Ich hatte schon komplett
vergessen wie schön sie doch war und wie sehr ich mich doch in Wirklichkeit
noch immer nach ihr sehnte. Sie hatte ihre Nägel blau lackiert. Muss wohl ein
neuer Trend sein, werde das nie verstehen, will ich auch nie verstehen. Sie war
da, nur darauf kam es mir an. Für einen Augenblick kam alles wieder in mir
hoch, was damals in mir war, was immer noch tief in mir drin irgendwo ist.
Sie sprang auf, kam mir entgegen und sprang in meine
Arme. Mandelnussöl, immer noch dasselbe wie damals. Ah Mandelnussöl, jetzt
weiss ich warum ich stehts daran denke. In Athen, da habe ich es gesehen, in
ihrer Tasche.
Ich war ein bisschen baff, da sie mich einfach auf den
Mund küsste. Wie sollte ich reagieren? Den Kuss erwidern oder alles ihr überlassen,
obwohl ich mich überaus freute, denn sehnte ich mich lange nach ihren Küssen.
Ich brachte nur ein klassisches und halb-cooles „Hey“ über meinen Mund, mit
halber Stimmkraft. Sie sah mir in die Augen, ein Lächeln, kniff mir in die
Wange, schüttelte den Kopf und küsste mich noch einmal. Da wusste ich noch
weniger, wie ich reagieren sollte, also tat ich nichts ausser sie fester an mich zu
drücken.
Die folgenden Stunden redete sie und redete. Von Ihrem
Leben. Wie schön Turku doch war. Wie viele Menschen sie kennengelernt hatte.
Wie ihr Studium lief. Was sonst so geschehen war und wie es ihrer Familie
ging. Mir fiel erst jetzt auf, wie viel sie mich gefragt hatte, und ich mit
meinen kurzen lakonischen Antworten. Ich konnte ihre Neugier kaum befriedigen,
wo und mit wem ich gerade war. Sie dürfte eigentlich doch gar nicht hier sein.
Was wenn er davon erfahren würde?
Nachdem wir unser Zimmer bezogen hatten, gingen wir
sofort wieder raus, an die freie Luft. Spazieren wollte sie, doch noch ein
bisschen von Wien sehen.
Wir flanierten die Mariahilferstrasse hinunter bis zum
Museumsquartier. Als wir dann davor standen, drehten wir beide ohne es richtig zu
bemerken wieder um. Zurück zum Hotel. Wir liefen und liefen. Diese paar hundert
Meter kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Sie erzählte mir Dinge, welche ihre Freundinnen
erlebt hatten. Über all die Freundinnen, welchen ich kurz einmal über den Weg
gelaufen war, damals in Athen.
Als wir wieder über den gläsernen Lift in unserem Zimmer
angekommen waren, wurde auch sie still. Wir legten uns aufs Bett. Ich konnte
die Situation immer noch nicht wirklich einschätzen. Ich schwieg, ging immernoch nur
spärlich mit meinen Worten um. Sie, bei ihr kamen Geschichten und Worte raus
geschossen, ohne Pausen, ohne Zusammenhang. Mal war es der Urlaub in
Thessaloniki, dann ohne Übergang, die Zeit in der Schweiz bei ihren Cousinen.
Aber ihre zärtliche Art, wie sie die Geschichten erzählte, lenkte mich stets
von den eigentlichen Inhalt ab. Meine Gedanke und meine Aufmerksamkeit waren
auf ihre Augen und ihren Geruch gerichtet. Wenn ich mich jetzt zurücksinne,
ich kann mich an fast nichts mehr erinnern, was sie mir erzählt hat.
Noch zwei Stunden, dann müssen wir aufstehen. Noch zwei Stunden
und wir verabschieden uns von einander.
Ob ich sie jemals wiedersehen werde? Ich weiss es nicht. Es kommt auf ihn an. Wird
er uns im Weg stehen und was will sie eigentlich? All diese Fragen, obwohl ich
mir geschworen habe, mir keine von ihnen zu stellen. Ich weiss nicht ob es eine
gute Entscheidung war, nach Wien zu kommen, sie zu sehen, sie zu küssen, sie zu
fühlen. Sie wird mir wieder eine lange Zeit nicht aus den Gedanken gehen. Was
mache ich dann? Mich mit meinen Freunden volllaufen lassen? Ja Yusuf wird
wieder alles geben um mich abzulenken. Es hat aber das letzte Mal nichts
genützt und es hat verdammt lange gedauert, dass wird es auch bei diesem „Danach“
sein.
Aber keine Trauer und Reue der Welt kann mir diese
Schönheit des Lebens vermiesen. Ich bin gerne hier, mit ihr, selbst wenn die
Folgen mühsam werden für mich. Diese Chance sie noch einmal zu sehen und bei
mir zu haben, sind die Schmerzen wert. Ich werde es schon überstehen, wie
immer.
Wie wird es ihr gehen? Was wird sie ihm sagen? Wird sie
auch so leiden wie ich? Ah so viele Frage ohne Antworten..
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